»STEHEN SIE AUF, VAN DER LUBBE!« (2024)

Nach dem erstaunlichen Erfolg seines ersteh Braunbuches kam Willi Münzenberg eine neue, noch wirksamere Idee. Er erinnerte sich der »Geheimgerichte« russischer Revolutionäre aus der Zarenzeit und setzte zusammen mit Otto Katz etwas Ähnliches in Szene: den sogenannten Reichstagsbrand-Gegenprozeß - jene öffentlichen Untersuchungen in Paris und London, die die Aufmerksamkeit des Auslands auf die Vorgänge im Dritten Reich lenkten.

Das »Weltkomitee für die Opfer »des Hitler-Faschismus« gebar einen »Untersuchungsausschuß zur Aufklärung des Reichstagsbrandes«. In der Praxis ging das so vor sich, daß Münzenberg sich von Vertrauensleuten eine Anzahl international

renommierter Anwälte liberaler Prägung nennen ließ, die dann ein sehr sachliches Schreiben mit der schmeichelhaften Aufforderung erhielten, sich für die Verteidigung der unschuldigen Opfer der Hitler-Barbarei und für die Aufrechterhaltung des Rechts zur Verfügung zu stellen.

Aus der großen Zahl der ausländischen Anwälte, an die das Pariser Sekretariat des »Weltkomitees« herangetreten war, kristallisierte sich schließlich folgende »Internationale Juristenkommission« heraus: Frau Dr. Betsy Bakker -Nort (Holland); Gaston Bergery (Frankreich);

Georg Branting (Schweden); Arthur Garfield Hays (USA); Vald Huidt (Dänemark); Vincent de Moro-Giafferi (Frankreich); Denis Nowell Pritt (England); Pierre Vermeylen (Belgien).

Keines der Mitglieder gehörte offiziell einer kommunistischen Partei an. Alle waren höchst respektable Angehörige des Bürgertums, die ihren guten Namen, ihre Hilfsbereitschaft und ihr Geltungsbedürfnis von Münzenberg für die Zwecke der Kommunisten einspannen ließen. Zum Vorsitzenden der Juristen-Kommission wurde der damals 45jährige Königliche Rat Denis Nowell Pritt aus London gewählt. Noch im Jahre 1957 erhielt Pritt von den dankbaren Kommunisten die Ehrenbürgerschaft der Stadt Leipzig. Und vor einigen Wochen wurde seine Schrift »Der Reichstagsbrand« vom Ostberliner Kongreß-Verlag neu herausgebracht.

Die Kommission hatte sofort große Resonanz in aller Welt. Fast täglich erschienen Berichte über gefundene Dokumente, über sensationelle Zeugenaussagen, über »unwiderlegbare Beweise« für die Schuld der Nazis. Um im Interesse seines Mandanten

unter keinen Umständen etwas Wichtiges zu versäumen, flog Dr. Sack, Torglers Verteidiger, am 8. September 1933 nach Paris.

Dr. Alfons Sack, einer der prominentesten Anwälte Berlins, hatte die Verteidigung Torglers übernommen, nachdem der einstige KPD-Fraktionschef den vom Reichsgericht beigeordneten Offizial-Verteidiger Dr. Huber abgelehnt hatte. Sack war Mitglied der NSDAP, hat sich aber dennoch bemüht, die Wahrheit zu finden. Vor Gericht verteidigte er zwar nicht die Kommunistische Partei, wohl aber den »Menschen Torgler«. Er widerlegte zahlreiche von den Nazis oder auch von den Sachverständigen vorgebrachte Beweise« für die Schuld der KPD und machte sich dadurch bei den NS-Führern unbeliebt. Auch darf sein Buch über den Reichstagsbrand* als die bisher detaillierteste Darstellung zu diesem Thema gelten.

An der fünfstündigen Besprechung mit Dr. Sack im Hotel »Bourgogne et Montana« nahmen neben dem schwedischen Mitglied der »Internationalen Juristenkommission«,

Advokat Branting, der amerikanische Anwalt Leo Gallagher und »ein angeblicher österreichischer Journalist« teil, der sich Breda nannte. In Wirklichkeit verbarg sich dahinter Otto Katz, Münzenbergs bester Mann.

Als Dr. Sack das Entlastungsmaterial für Torgler zu sehen begehrte, bekam er zur Antwort: »Man sei nicht berechtigt, die Adressen der Notare zu nennen, bei denen das Material hinterlegt sei.«

Es war verständlich, daß man dem »Nazi -Gericht« die Original-Dokumente nicht zur Verfügung stellen wollte; aber welchen Sinn sollte es haben, sie auch dem Verteidiger Torglers vorzuenthalten? Noch überraschter war Sack, als er bemerkte, daß die angeblich so dokumententrächtige Kommission sich nicht scheute, ihn ungeniert auszufragen. Er gelangte daher sehr bald zu der Einsicht, daß man auch hier nur bluffte: Es gab keine Beweisdokumente für die Schuld der Nationalsozialisten.

Mit leeren Händen flog er am 9. September 1933 wieder nach Berlin zurück, immerhin stark beeindruckt von der Münzenbergschen Propaganda-Kampagne. Plakate forderten zu Massenkundgebungen auf; und am 11. September 1933 kam es sogar zu einer vom »Büro M« (= Münzenberg) organisierten Riesendemonstration mit 10 000 Teilnehmern in der Pariser »Salle Wagram«.

Der französische Advokat und frühere Deputierte Vincent de Moro-Giafferi, der auch heute noch in Ostberliner Publikationen als »Doyen der französischen Strafverteidiger« bezeichnet wird, hielt das angekündigte »Plädoyer über den deutschen Reichstagsbrand«. Er berief sich auf sein »eingehendes Studium der Akten« und riß die Massen durch theatralische Ausrufe wie diese hin: »Bei meiner Seele und meinem Gewissen erkläre ich: Göring hat es getan. Der Mörder, der Brandstifter, der Urheber des Verbrechens der Reichstagsbrandstiftung, das bist du, Göring!«

Maitre Moro-Giafferi hatte zwar die Akten des Kriminalfalls Reichstagsbrand bestimmt nicht gelesen; trotzdem hielt er es für richtig, »bei seiner Seele« ein Urteil zu fällen, so wie es andererseits Hermann Göring nicht genierte, unter Vorwegnahme dies Urteils am 4. November 1933 ebenfalls bei seinem Gewissen zu erklären: »Ich weiß geradezu hellseherisch, daß die Kommunisten den Brand entzündet haben.«

Am 14. September 1933 fand im Saal der renommierten englischen »Juristen-Gesellschaft« (Law Society) in der Londoner Carey Street die erste öffentliche Sitzung der Kommission statt. Sir Stafford Cripps, später Botschafter in Moskau und Minister im Kabinett Attlee, hielt die Eröffnungsansprache. Unter den Zuhörern sah man viele prominente Männer, darunter den Schriftsteller H.G. Wells. Auch Bernard Shaw war eingeladen worden, hatte eine Teilnahme jedoch abgelehnt und die ganze Aktion mit der Begründung abgetan, ihm sei kein Fall bekannt, in dem eine Einmischung des Auslands in politische Prozesse den Angeklagten zum Vorteil gereicht hätte. Shaw: »Wenn ein Gefangener als Knüppel benutzt werden soll, um eine Regierung damit zu schlagen, so besiegelt man damit sein Schicksal.«

Die Sitzung der Kommission fand im Stil einer Gerichtsverhandlung statt. Auf der Schmalseite des Raumes saß das »Gericht«, die internationale Juristen-Kommission.

Als Dr. Sack, der am Nachmittag des 14. September 1933 nach Schluß der ersten Sitzung in London eintraf, am folgenden Tage die Szene beobachtete, sah er zu seiner Überraschung den Maitre Moro -Giafferi unter den Richtern. Schreibt Sack:

»Vier Tage vorher hatte dieser französische Anwalt des Rechts in Paris erklärt, daß für ihn Ministerpräsident Göring als der Schuldige am Reichstagsbrand erwiesen sei. Jetzt saß er, den jedes Gericht der Welt als befangen abgelehnt hätte, als 'Richter' am Tisch.«

Das amerikanische Kommissions-Mitglied Hays berichtet über Moro-Giafferi die folgende Episode: »Am dritten Tage der Vernehmungen beobachtete ich meinen Kollegen Moro-Giafferi, der augenscheinlich in tiefes Nachdenken versunken war. Er kritzelte eine Notiz und schob sie Bergery zu, der zu meiner Rechten saß. Ich fragte mich, was mir entgangen, diesem hervorragenden Advokaten aber aufgefallen sein mochte. Ich warf daher einen Blick auf den Zettel und las: 'Es ist nicht ein einziges passables Frauenzimmer im Saal!'«

Nicht nur die passablen Frauenzimmer blieben weg; auch das Interesse der Journalisten ließ schnell nach. Denn die Zeugen, die das Sekretariat bestellt hatte, wußten über die Angaben im Braunbuch hinaus natürlich nichts Neues zu berichten.

Theodor Plieviers ehemaliger Sekretär Harry Schulze-Wilde berichtete nach 1945, daß der KPD-Funktionär Albert Norden - heute »Professor für neueste Geschichte« in Ostberlin - als »aus Deutschland stammender SA-Führer« mit verhülltem Kopf zur Zeugenaussage gekommen sei. Das geschah angeblich, weil ihm sonst Gefahr für Leib und Leben gedroht hätte, sobald er nach Deutschland zurückginge. Er sei jedoch weniger wegen seiner angeblichen SA-Zugehörigkeit maskiert gewesen, sondern wegen seines »prononciert nichtarischen Aussehens«, denn sonst wäre der Schwindel sogleich erkannt worden.

Es wurden auch Zeugen geheim vernommen, weil sie auf »Todeslisten Londoner Naziklubs« standen. Die angebliche Liquidierungsliste eines solchen »Londoner Naziklubs« wurde vorgezeigt; sie war mit dem Schlußwort versehen: »Wenn Du einen von ihnen triffst, dann bringe ihn um; und wenn es ein Jude ist, dann brich ihm jeden

Knochen im Leibe!« Der sonst recht findigen Londoner Polizei gelang es freilich nicht, auch nur einen der gefährlichen Naziklubs ausfindig zu machen.

Ein Zeuge besonderer Art war der Holländer »W.S.«. Er bekundete, daß ihm ein Zutreiber des SA-Stabschefs Röhm namens Bell Anfang 1932 eine Liste von 30 Männern, bekannten hom*osexuellen, gezeigt habe, die er, wie er sagte, Röhm »zugeführt« habe. »Auf dieser Liste stand auch der Name Marinus van der Subbe oder Marinus van der Lubbe und darunter die Bemerkung 'Holland'«, so bekundete der Zeuge.

Andere Zeugen sagten ähnlich aus. So der holländische Schriftsteller Freek van Leuven, der wider besseres Wissen behauptete, van der Lubbe sei hom*osexuell. Heute bedauert van Leuven, daß er sich damals dazu hergab, »im Parteiinteresse« eine wissentlich falsche Aussage zu machen.

Zusammen mit weiteren derartigen Zeugenaussagen ergab dann das Urteil der Kommission über Lubbe genau das, was im Braunbuch längst mit dem Schlagwort »Werkzeug der Nazis« umschrieben worden war. Die Kommission stellte fest: »Er (Lubbe) lebte von 1927 bis 1933 in einem Milieu von mehr oder minder anarchistischen Elementen, von hom*osexuellen, zu denen er selbst gehörte.«

Am Abend des fünften Verhandlungstags versammelte sich die Kommission in einem Hotel-Appartement. Das amerikanische Kommissions-Mitglied Hays schildert, wie der schwerfällige und würdevolle Pritt im Badezimmer saß und auf der Schreibmaschine hämmerte, während Dr. Kurt Rosenfeld, Torglers früherer Rechtsbeistand (der zuvor als Zeuge vor der Kommission aufgetreten war), zusammen mit anderen Komiteemitgliedern die einzelnen Teile des »Spruches« redigierte. Zahlreiche Leute saßen oder standen rauchend und schwatzend herum. Das Bett war mit Papieren bedeckt. Der todmüde Hays legte sich schließlich erschöpft in irgendeiner Ecke auf den Fußboden und schlief ein.

Der »Spruch von London«, dessen Formulierung von Gaston Bergery stammt und der gezielt am 20. September, also einen Tag vor Beginn des deutschen Reichstagsbrandprozesses verkündet wurde, lautete:

Die Kommission ist zu folgenden Schlußfolgerungen ihrer Untersuchung gekommen.

1. Daß von der Lubbe nicht Mitglied, sondern ein Gegner der kommunistischen Partei war, daß keine Spur einer wie immer georteten Verbindung zwischen der KPD und dem Reichstagsbrand besteht, daß die Angeklagten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff nicht nur unschuldig sind an dem Verbrechen, dessen sie beschuldigt werden, sondern daß sie auch in keiner Weise - weder direkt noch indirekt - mit dem Verbrechen in Verbindung bzw. in Beziehung standen.

Diese Feststellung entsprach den Tatsachen.

2. Daß die Dokumente und mündlichen Aussagen sowie das übrige Material, das die Kommission in Händen hat, geeignet sind, festzustellen, daß van der Lubbe das Verbrechen nicht allein begangen haben kann.

Das war zugleich auch die These der Nazis und der deutschen Untersuchungsbehörden.

3. Daß die Prüfung aller Möglichkeiten von Ein- und Ausgang vom und zum Reichstag es höchst wahrscheinlich macht, daß die Brandstifter den unterirdischen Gang benutzt haben, der vom, Reichstagspräsidentenpalais zum Reichstag führt.

Das wiederum entsprach genau der Auffassung Görings.

4. Daß ein solcher Brand zu der in Frage kommenden Zelt von großem Vorteil für die nationalsozialistische Partei war; daß aus diesem und anderen Gründen ... schwerwiegende Anhaltspunkte für den Verdacht gegeben sind, daß der Reichstag von führenden Persönlichkeiten der nationalsozialistischen Partei oder in deren Auftrag in Brand gesetzt wurde.

Die Londoner Kommission und viele andere Juristen in aller Welt haben dem deutschen Oberreichsanwalt zu Recht vorgeworfen, daß er unter Verzicht auf jede Beweisführung gegen die Beschuldigten Torgler, Dimitroff, Taneff und Popoff Anklage erhob und sich dabei der Erklärung bediente, es sei »unerheblich, in welcher Weise die Angeklagten im einzelnen an der Tat selbst beteiligt« gewesen seien.

Die Londoner Gegenseite freilich war ebenso voreingenommen, denn auch in London mußte man auf jede Beweisführung verzichten, weil man keine Beweise, sondern allenfalls Verdachtsmomente geltend machen konnte. Weder der Leipziger Oberreichsanwalt noch die Londoner Kommission begnügten sich mit dem tatsächlich vorliegenden Beweismaterial, denn sonst hätte man in London wie in Leipzig zu dem Ergebnis kommen müssen, daß weder die Nazis noch die Kommunisten mit dem Reichstagsbrand etwas zu tun gehabt hatten.

An die Möglichkeit, daß van der Lubbe allein gehandelt hatte, glaubte zum Zeitpunkt des Prozesses ohnehin niemand mehr. Der ungeschlachte Holländer, der die meiste Zeit apathisch, zusammengesunken und leichenblaß vor seinen Richtern saß, sollte den Riesenbrand ohne jede Hilfe entfacht haben? Er sollte seine Tat vor der Polizei in allen Einzelheiten und in einwandfreiem Deutsch gestanden haben, sollte in langen, lebhaften Diskussionen seine Argumente dargelegt, sollte hervorragend gezeichnet, ja sogar die Protokolle geändert haben?

Was aber stand denn in diesen Protokollen? Gab es sie überhaupt? Wer hatte sie je gesehen? Münzenbergs Männer in Paris waren mit der Antwort schnell bei der Hand: Die Nazis hatten das erste Polizei-Protokoll verschwinden lassen, weil darin für sie gefährliche Dinge standen. Heißt es im Braunbuch I:

»Es wurde vor Gericht nie festgestellt, was in diesem ersten Protokoll stand. Das

Verschwinden dieses ersten Protokolls ist eine der großen 'Merkwürdigkeiten' des Reichstagsbrandprozesses.«

Münzenberg und seine Redakteure wußten recht gut, daß dieses Protokoll keineswegs verschwunden war, zumal aus den Verhandlungsniederschriften des Reichsgerichts in Leipzig hervorging, daß es in der Gerichtsverhandlung häufig zitiert wurde. Also zogen sie sich auf die Tatsache zurück, daß man das Protokoll vor Gericht nie »verlesen« hatte. Dies war ihnen Beweis genug, daß für die Nazis unangenehme Dinge in diesem Protokoll stehen mußten.

Die Braunbuch-Kommunisten hatten jedoch offensichtlich keine Ahnung von der deutschen Strafprozeßordnung. Denn nach dem Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzip bestand für das Gericht normalerweise gar keine Möglichkeit, die von der Polizei aufgenommenen Vernehmungsprotokolle in der Hauptverhandlung verlesen zu lassen. Nur das, was von Zeugen unmittelbar bekundet wird, darf Verwendung finden, damit sich das Gericht vom Zeugen und seinen Aussagen ein eigenes Bild machen kann.

Die von den Braunbuch-Autoren aufgebrachte Legende, die Nazis hätten das Protokoll der Kriminalpolizei verschwinden lassen, geistert seither durch nahezu alle

Berichte über den Reichstagsbrand, die nach dem Krieg erschienen sind. Auch Dr. Richard Wolff, der Anfang dieses Jahres verstorbene Verfasser jenes offiziösen Forschungsberichts über den Reichstagsbrand*, der heute in der Bundesrepublik in Hunderttausenden von Exemplaren existiert und als Unterrichtsmaterial verwendet wird, hat die Legende kritiklos übernommen.

Dr. Wolff, der 1938 emigrierte, sich in Nairobi niederließ und britischer Staatsbürger wurde, erhielt 1955 von der Bonner Bundeszentrale für Heimatdienst** einen gutdotierten Forschungsauftrag. Mit Unterstützung westdeutscher Behörden sollte er versuchen, das Geheimnis des Reichstagsbrandes endlich zu klären. Der Forschungsbericht, den Wolff schließlich vorlegte, steckt nicht nur voller zum Teil leicht nachweisbarer Fehler und Ungenauigkeiten, er gehört auch zu dem Naivsten, was je über den Reichstagsbrand geschrieben wurde.

Dr. Wolff beklagt, daß es ihm nicht gelungen sei, ein Exemplar der sieben Kopien des Polizeiprotokolls aufzutreiben. Sie seien von den Nazis »systematisch vernichtet« worden. Überhaupt wundert er sich über den »erstaunlichen Quellenmangel«, der ihm viel zu schaffen gemacht habe: »Es ist mir nicht gelungen, ein amtliches Stenogramm der Anklage des Oberreichsanwalts und der Reichsgerichtsverhandlung aufzutreiben oder auch nur festzustellen, wer von den maßgebenden Juristen des Prozesses noch am Leben ist.«

Forschungsbeauftragter Dr. Wolff kann nicht sehr eingehend geforscht haben; denn es existieren nicht nur die Protokolle der Kriminalpolizei, auch Anklageschrift und Urteil liegen im vollständigen Text vor. Zudem leben noch viele der am Verfahren beteiligten Kriminalbeamten und Juristen. Zwar zeigen sich zumal die ehemaligen Reichsgerichtsräte, die das Grauen der russischen Internierungshaft überlebt haben, nicht allzu begierig, über den Reichstagsbrand zu sprechen; ihre Anschriften sind aber durch die Justizverwaltung der Bundesrepublik ohne Schwierigkeit zu beschaffen.

Obwohl Dr. Wolff also an die entscheidenden Quellen gar nicht herangekommen ist, betrachtete er es »als erwiesen«, daß van der Lubbe nur ein harmloser Strohmann war und daß in Wahrheit die SA mit Zustimmung Hitlers den Reichstag angesteckt habe.

Dr. Wolffs mit Bundesgeldern erstellter Forschungsbericht wurde bald zur wichtigsten Unterlage zahlreicher »Dokumentarberichte«, die in den letzten Jahren in der deutschen und ausländischen Presse erschienen. Da auch die Autoren dieser Berichte nicht an die Originaldokumente herankamen, übernahmen sie nur zu gern neben anderen Legenden auch die These von den verschwundenen Polizeiprotokollen. Schrieben die Gemeinschaftsautoren Heydecker/Leeb in der »Münchner Illustrierten« Nr. 51/1957: »Alle acht Exemplare dieses inhaltsschweren Dokuments sind aber auf mysteriöse Weise verschwunden und nie wieder zum Vorschein gekommen.«

Der Journalist Peter Brandes - auch bekannt unter dem Namen Curt Rieß - ging sogar noch einen Schritt weiter. In der Überzeugung, daß keine der Protokollkopien mehr existiert, erweckte er den Anschein, das Stenogramm der ersten Abhörung zu kennen, und phantasierte munter drauflos. Nach seinem »atemberaubenden Tatsachenbericht« im »Stern« vom 23. November 1957 soll van der Lubbe in der Brandnacht erklärt haben: »Als ich in den, großen Saal kam ... den Saal mit den vielen Stühlen und Bänken ..., mit

der Holzverkleidung... Der Saal brannte schon, als ich hereinkam...

»Den habe ich nicht angezündet! Den nicht! Er brannte schon, als ich hereinkam.« Brandes fügt hinzu: »Und davon wird sich van der Lubbe niemals abbringen lassen ...

»Mit vor Müdigkeit zitternder Hand unterschreibt er (Lubbe). Um allen Irrtümern vorzubeugen: Er unterschreibt nichts, was er nicht gesagt hat. Das von der Berliner Polizei verfaßte Protokoll ist vollkommen in Ordnung...«

Die Legende des Illustriertenschreibers Rieß wird nicht nur durch das Polizeiprotokoll selbst entlarvt, das Rieß nie zu Gesicht bekommen hat; sie ist bereits durch die Verhandlungsprotokolle des Leipziger Reichsgerichts widerlegt. Vor Gericht haben nämlich die Kriminalkommissare Heisig und Dr. Zirpins wiederholt unter Eid versichert, weder die Vernehmung van der Lubbes noch die Ermittlungen im Reichstagsgebäude hätten irgendwelche Anzeichen dafür erbracht, daß außer van der Lubbe noch andere Mittäter an der Brandstiftung beteiligt gewesen seien. Und beide Kriminalisten haben ihre Angaben nach dem Krieg wiederholt bestätigt.

Das Polizeiprotokoll der Vernehmung van der Lubbes, das nachstehend - zum erstenmal - auszugsweise veröffentlicht wird, widerlegt zudem die Behauptung der Pariser Braunbuch-Autoren, die Nazis hätten allen Grund gehabt, dieses Dokument zu fürchten.

STRAFSACHE VAN DER LUBBE BAND: HAUPTAKTEN I.

Berlin, am 28. 2. 33

»Vorgeführt erscheint Marinus van der Lubbe und sagt aus:

Zur Person: Ich bin in 's Hertogenbosch und dann in Leiden in die Volksschule gegangen, und dann habe ich Maurer gelernt. 1928 bin ich Geselle geworden. Seitdem habe ich mit kurzen Unterbrechungen keine Stellung gehabt. 1929 erlitt ich einen Unfall und beziehe seit dieser Zeit eine Unfallrente von 7 Gulden 44 Cents pro Woche . . .

Im März 1931 bin ich nach Berlin gelaufen von Leiden aus und hier in Berlin etwa 1 Woche geblieben. Ich wohnte damals im Männerheim Alexandrinenstraße. Dann ging ich wieder zu Fuß nach Holland zurück; für den Hin- und Rückweg brauchte ich je etwa 6 Wochen . . . Im September 1931 ging ich wieder von Leiden los: Bayern, Österreich, Jugoslawien und über Ungarn fuhr ich mit dem Zuge nach Hause . . .

Im Januar 1932 bin ich zum zweiten Mal nach Budapest gelaufen, das hat wieder einen Monat gedauert. Ich ging wieder über Bayern nach Österreich. Auf dem Rückwege habe ich Tschechien durchquert...

1933 blieb ich im Januar zuhause und ging erst in den letzten Tagen wieder auf Wanderschaft. Ich ging von Leiden nach Cleve, Düsseldorf, Essen, Bochum, Dortmund, Braunschweig, Magdeburg bis Berlin. Ich bin hier an einem Sonnabend angekommen. Es war dies der 18. Februar 1933. Ich kam in den Nachmittagsstunden über Potsdam und konnte kurz vor Berlin ein Lastauto benutzen, mit welchem ich bis Schöneberg fuhr. Der Weg von Leiden bis Berlin betrug etwa 800 km. Die erste Nacht von Sonnabend zu Sonntag schlief ich in der Alexandrinenstraße. Die Adresse ist mir von früher her bekannt gewesen ...

Am Sonntag war ich vormittags auf einem SPD-Konzert auf dem Bülowplatz, das aber von der Polizei aufgelöst worden

ist. Dann ging ich mittags in den Lustgarten. Hier sah ich den Aufmarsch des Reichsbanners. Abends ging ich in das Asyl in der Fröbelstraße schlafen.

Am Montag mußte ich früh für das Asyl Schnee schippen. Ich war gegen 13 Uhr fertig und schrieb dann Briefe nach Holland. Nachdem ich noch etwas spazieren gegangen war, ging ich zeitig schlafen, und zwar wieder in der Fröbelstraße.

Am Mittwoch bin ich etwa gegen 11 Uhr vom Asyl weggegangen und habe mich nach der Gleimstraße begeben, wo ich in der Volksküche vom Wohlfahrtsamt Essen bekam. Ich ging dann noch einige Zeit im Wedding spazieren und ging dann nach der Alexandrinenstraße im Männerheim schlafen.

Ich will jetzt den Dienstag nachtragen: Bis 12 Uhr war ich im Wohlfahrtsamt, wo ich eine Eßkarte für Mittwoch bekam. Dort habe ich lange warten müssen, weil da sehr viel Leute waren, sodaß die Sache sehr lange dauerte. Nachmittags ging ich in der Gegend des Alexanderplatzes spazieren und um drei Uhr in ein Kino, wo ich den Film 'Der Rebell' sah. Ab 17 Uhr bin ich noch etwas gelaufen und dann ins Fröbel-Asyl zurückgegangen.

Am Donnerstag bin ich um 9 Uhr früh losgegangen und habe mich nach Neukölln gewandt. Vor dem Wohlfahrtsamt habe ich mich mit den Erwerbslosen unterhalten und auch eine Erwerbslosenzeitung gekauft. Abends ging ich, dann in das Männerheim Alexandrinenstraße zurück.

Meinen Unterhalt habe ich teils von eignem Gelde bestritten, das mir mein Freund Jacobus Vink, Leiden, Heringsgracht hierher postlagernd beim Postamt in der Königstraße gesandt hat. Es waren zweimal 5,- RM, die am Dienstag und am Freitag kamen. Im übrigen habe ich im Asyl kostenlos gewohnt und auch das Essen sonst frei gehabt.

Am Freitag bin ich den ganzen Tag unterwegs gewesen, und zwar habe ich besucht: Das Zentrum, Alexanderplatz, Schönhauser-Allee, Gleimstraße und zurück in der Gegend von Alexanderplatz bis zur Alexandrinenstraße, Diesmal habe ich kein Mittag gegessen, dafür bekam ich Abendbrot in dem Männerheim.

Zur Tat: Am Sonnabend ging ich um 10 Uhr aus dem Männerheim fort und wandte mich dem Zentrum zu, wo ich auch das Schloß gesehen habe. Vom Alexanderplatz ging ich direkt nach Süden und kam auf den Hermannplatz. Hier war ich etwa gegen 17 Uhr. Auf dem Wege zum Hermannplatz kam mir der Gedanke, das Wohlfahrtsamt anzuzünden. Ich kaufte zu diesem Zweck für 30 Pfg. 4 Pakete Kohlenanzünder. Das Wohlfahrtsamt liegt am Mittelweg. Ich habe eine Hecke überklettern müssen und bin hinten herum gegangen, bis ich etwa in Kopfhöhe ein Eckfenster sah, in das ich dann ein brennendes Paket hineinwarf. Ob das Paket einen Brand entfacht hat, weiß ich nicht, da ich sofort auf demselben Wege, wie ich hingekommen war, geflüchtet bin ...

Mit der Untergrundbahn bin ich von der nächsten Haltestelle aus bis zum Alexanderplatz gefahren. Die Tat im Wohlfahrtsamt habe ich um 18.30 Uhr begangen. Vom Alexanderplatz aus ging ich die Königstraße lang und kam um 19.15 Uhr vor das Rathaus. Hier ging ich, so wie ich in der Skizze eingezeichnet habe, zunächst an der Kehrseite des Rathauses vorbei. An der Ecke sah ich ein Kellerfenster offen stehen. Ich entzündete wieder ein Paket der Kohlenanzünder und warf es in den Keller hinein. Es war schon dunkel und mich hat niemand beobachtet. Ob das Paket einen Brand entfacht hat, weiß ich nicht, da ich auch hier schnell weggegangen bin. Ich bin an der hinteren Längsseite des Rathauses entlang, die Spandauer Straße und dann die Königstraße in Richtung zum Schloß eingebogen.

Am Schloß war ich gegen 20 Uhr ...

Auf der linken Seite des Torbogens bin ich hochgeklettert und auch auf das Dach gelangt. Dort oben lief ich die Front entlang und dann quer zur Spree zu. Mitten auf der Seite des Daches brachte ich dann die restlichen beiden Pakete zur Entzündung, Ich bin dann denselben Weg wieder zurückgeklettert. Ein Paket habe ich in ein Dachfenster geworfen, mich aber nicht darum gekümmert, ob sie gezündet haben ...

Am Sonntag bin ich früh um 9 Uhr aufgebrochen und bin durch den Tiergarten über Charlottenburg nach Spandau gegangen . . . Am Sonntag abend bin ich in ein Dorf bei Spandau eingekehrt Dieses Dorf heißt Hennigsdorf. (Vermerk: v.d. Lubbe ist am 26. 2. 33 um 18.20 Uhr in Hennigsdorf polizeilich gemeldet und am 27. 2. 33 um 7.45 Uhr weitergewandert. - Telephonische Auskunft des Polizeireviers.)

Am Montag bin ich gegen 8 Uhr von Hennigsdorf wieder in Richtung Berlin abmarschiert und habe mich zuerst nach Tegel begeben. Ich bin dann die ganze Müllerstraße, Chausseestraße und Oranienburger Straße entlang bis zum Reichstag gegangen. Ich kam von der Oranienburger Straße zunächst zu den Linden, ging diese herunter bis zur ersten Querstraße vor dem Brandenburger Tor (Neue Wilhelmstraße).

Von dort ging ich direkt zum Reichstag herüber. Ich war etwa gegen 17 Uhr da. Zunächst bin ich den Weg so gegangen, wie ich ihn in Skizze 4 eingezeichnet habe. Auf diese Weise konnte ich mir das ganze Gebäude ansehen. Ich bin dann die Siegesallee herunter zum Potsdamer Platz gegangen und von hier die Leipziger Straße entlang nach dem Alexanderplatz.

Bereits am Vormittag habe ich mir beim Passieren der Müllerstraße (auf der linken Seite derselben nach der Stadt zu gesehen) 4 Pakete Kohlenanzünder für 30 Pfg. gekauft. Der Laden war ein Kohlengeschäft in einem kleinen Holzgebäude. Kartoffeln sind auch verkauft worden. Ich möchte mich noch dahin berichtigen, daß ich am Sonnabend nicht alle 4 Stück in dem Geschäft am Hermannplatz gekauft habe, sondern nur zwei. Zuerst hatte ich zwei auf der Alexandrinenstraße gekauft. Wenn wir an den Geschäften vorbeifahren würden, würde ich sie wieder erkennen.

Ich habe nachmittags den Anbruch der Dunkelheit abgewartet und bin wieder die Linden entlang zur Dorotheenstraße gegangen, die ich diesmal lang herauf bis zur Spree ging, wo ich dann umkehrte und fast ganz um den Reichstag herumging. Als ich an die Freitreppe kam, bin ich an der rechten Seite der Treppe (vom Beschauer des Gebäudes aus gesehen) an einem etwa mannshohen Gesims hochgeklettert und auf einen kleinen Balkon gestiegen. Ich trat das Glas der Balkondoppeltür ein und gelangte in ein Zimmer. Dort habe ich das erste Feuer angezündet, und zwar mit einem von den Paketen, das ich unter die Gardine legte.

Da der Brand gar nicht richtig los ging, habe ich noch ein zweites Stück angezündet und auf den Tisch gelegt. Da es so dunkel war, habe ich dann das Zimmer erhellen wollen. Ich ging auf den Korridor und habe mir meine Jacke und meine Weste ausgezogen. Das Feuer war inzwischen ausgegangen und ich habe daher meinen Pullover angezündet, um das Feuer weiter zu tragen. Zum Anzünden des Pullovers verwendete ich die glimmenden Reste auf dem Tisch. Mit dem brennenden Pullover rannte ich den Korridor entlang, der dann hinten einen rechten Winkel machte. Dort fand ich in einem Büro Papier, das ich nun mit dem 3. Paket Kohlenanzünder zum Anlegen eines großen Brandes verwenden konnte.

Ich bin dann zurückgerannt und dann in die im Erdgeschoß liegende Küche eingedrungen, indem ich die Tür zur

Küche eintrat. In der Küche habe ich ein Tafeltuch in Brand gesetzt, indem ich das letzte Paket Kohlenanzünder verwendete. Dann bin ich durch eine Speiseklappe, die zum Durchgeben des Essens dient, durchgedrungen, indem ich auch diese entzwei machte. Ich gelangte in einen kleineren Saal und rannte dort die Treppe hoch. Ein brennendes Tafeltuch habe ich mitgenommen und kam dann in eine große Kirche (gemeint ist der Plenarsitzungssaal). In dieser Kirche waren die Pulte vorn tief und hinten höher gestellt.

v. g. u.

gez. van der Lubbe

Vermerk: Die Vernehmung wurde abgebrochen, weil eine Zeichnung des Reichstagsgebäudes nicht vorlag und auch sonst ein Lokaltermin dringend erforderlich schien. Die Besichtigung am Tatort erfolgte von 16.30 bis 19.30 Uhr.

Berlin, den 28. 2. 33.

WEITERVERHANDELT.

Berlin, den 1. 3.33

Nachdem ich nun gestern den Tatort noch einmal gesehen habe, stelle ich fest, daß ich die Reihenfolge meiner Brände doch nicht ganz richtig geschildert habe. Ich will sie daher noch einmal wiederholen:

Nachdem ich am Sims hochgeklettert und die Doppelscheiben zu der Restauration von dem Balkon aus durch 10 Fußtritte eingeschlagen hatte, bin ich in den Raum hineingestiegen. Ich habe gerade diesen Winkel in der Ecke an der Freitreppe gewählt, um nicht bei meinem Eindringen von der Straße aus gesehen zu werden. In der Restauration habe ich zunächst 1 Gardine in Brand gesetzt, die sich an dem Fenster befand, durch das die Feuerwehr eingedrungen ist. Dann lief ich hinter den Schanktisch, wo ein Tafeltisch stand. Auf diesem entzündete ich das zweite Paket Kohlenanzünder. Gegenüber von der brennenden Gardine befand sich eine Tür auch mit einer großen Portiere. Diese Tür führt nach einer Halle, in die ich bloß ganz kurz hineingesehen habe. Mit einem Stück Kohlenanzünder bin ich vom Fenster zu dieser Tür gelaufen und habe hierbei die Gardine in Brand gesetzt.

Da es sehr dunkel war, habe ich mir die Überjacke und Jacke sowie die Weste ausgezogen und den Pullover abgelegt, den ich in Brand setzte und damit leuchtete. Ich hatte also nur noch mein Hemd an. Die Jacke legte ich in der Halle neben der Restauration auf die Erde nieder. Als ich aus der Halle in die Restauration zurückkam, bin ich mit dem brennenden Pullover eine Treppe heruntergerannt, die sich in einem Raum hinter dem Schanktisch befindet.

Die Treppe führte in eine Küche im Erdgeschoß. Sie war aber abgeschlossen durch einen Türvorbau. Die Tür selbst war mit Stäben gesichert und abgeschlossen. Ich schlug daher eine Seitenscheibe ein und zwängte mich durch. Der Pullover war jetzt ausgebrannt und ich warf ihn auf die Fliesen. Da ich nun kein Licht hatte, zog ich mir mein Hemd aus und entzündete es an dem brennenden Lappen.

Die Küchenräume bin ich schnell durchgelaufen und kam bis an eine verschlossene Tür. Neben derselben befand sich ein Schiebefenster zur Speisendurchgabe. Da ich es eilig hatte und das Fenster nicht aufbekam, habe ich es mit einem kleinen Teller, der dort stand, eingeschlagen. Ich kletterte durch das Fenster durch und kam in eine Art Restaurant. (Vorraum zur Beamtenkantine).

Das Hemd war bald wieder ausgebrannt und ich nahm jetzt ein Tischtuch, das ich in der Küche fand. Das Hemd warf ich weg. (Vermerk: Unter dem Kronleuchter in Raum 24 wurde ein Brandfleck gefunden.) In diesem Raum hörte ich einen Knall, habe aber weiter nicht auf ihn geachtet. (Vermerk: In diesen Raum hatte ein Schutzpolizeibeamter geschossen.) Ich lief dann durch mehrere angrenzende Räume bis zu einer großen Kleiderablage in der Toilette. Der Fleck in Raum 43a mag dadurch entstanden sein, daß brennende Fetzen aufgefallen sind. In der Toilette fand ich einen Stoß Handtücher, mit denen ich an der linken Seite der Toilette ein größeres Feuer anlegte. Etwa 5 Handtücher nahm ich mit, um sie unterwegs zum Leuchten zu verwenden. Ich rannte dann eine Treppe hoch. Den auf dem zweiten Absatz 5. Stufe befindlichen Brandfleck erkläre ich auch wieder durch das Abfallen von brennenden Fetzen.

Die Handtücher habe ich alle gleichzeitig angebrannt. Ich war dann wieder im Hauptgeschoß und rannte hier ganz gerade aus. Ich kam hier wieder an der Halle neben der Restauration vorbei. Das weiß ich daher, weil ich dort wieder meine Jacke fand; hier waren noch zwei Pakete Kohlenanzünder darin. Einen zündete ich an, um zu leuchten. Ich rannte dann in einem rechten Winkel weiter und kam bis an

einen Nebenraum, in dem ich viel Papier sah. Hier nahm ich meinen letzten Kohlenanzünder und machte ein großes Feuer an. Das Feuer wollte aber gar nicht schnell brennen und ich nahm meine Überjacke zu Hilfe.

Dann lief ich schnell weiter, wobei ich einen Teil der brennenden Überjacke mitnahm. Mit dieser zündete ich große Portieren an, die den Plenarsaal abschlossen. Daß dies der Plenarsaal war, habe ich erst gestern am Tatort erfahren. Ich habe in dem Feuer der Portieren einen großen Kuppelraum gesehen, der wie eine Kirche aussah, vorn waren die Pulte niedriger und hinten höher. Ich riß ein größeres Stück von der Portiere herunter und rannte damit auf die andere Seite des Saales, wo ich einen Teil der Portiere niederwarf. (Vermerk: Dadurch sind die Portieren im Ausgang zu H 69 in Brand geraten.)

Ich lief wieder zu der ersten Portiere zurück, riß noch ein Stück Portiere ab und lief in dem Gang weiter. In einem zweiten Gang brannte ich eine Gardine an und ein Sofa darunter. Da es hier zu schnell brannte und ich auch keinen neuen Stoff zum Weitertragen des Feuers hatte, rannte ich wieder an den Eingang zum Plenarsaal zurück, wo ich mir ein großes brennendes Tuch holte. In diesem Augenblick hörte ich auf der gegenüberliegenden Seite des Saales Stimmen. (Vermerk: siehe Vernehmung des Polizeileutnants Lateit.) Ich lief jetzt in einen großen Saal, in dem ich auch noch Feuer anzünden wollte: Ich habe aber hier nichts Brennbares gefunden. Ich rannte zunächst links in ein Zimmer und dann rechts gegenüber.

Unterwegs verlor ich auch noch brennende Teile. Durch eine Tür kam ich dann wieder an dieselbe Stelle, wo ich vorher das Sofa angebrannt hatte. Hier steckte ich die brennenden Fetzen unter einen Sessel, um auch diesen in Brand zu setzen. Ich ging zum Bismarcksaal zurück, wo ich auch wieder Stimmen hörte. Ich nahm an, daß es die Polizei ist und habe gewartet. In dem Bismarcksaal bin ich auch festgenommen worden. Als ich das erste Mal die Stimmen hörte, habe ich mich nicht stören lassen, ich habe mir vielmehr gesagt, daß ich jetzt noch arbeiten könne, da die Stimmen noch weit entfernt waren ...

Daß im Reichstagsrestaurant der Vorhang vor dem Fenster langsamer gebrannt

hat, als der vor der Türe, liegt an der Qualität des Stoffes. Vor dem Fenster hing ein roter Vorhang, der gar nicht brennen wollte. Der halbe Vorhang vor der Tür war aus Samt und brannte schnell, daher ist auch zu erklären, daß die Tür so verbrannt war. Am schnellsten aber zündeten die Portieren vor dem Plenarsaal; diese brannten wie Zunder hoch und standen in wenigen Augenblicken in Flammen, das Holz brannte langsam nach ...

Bezüglich des Ankaufs der Kohlenanzünder möchte ich sagen, daß das erste Geschäft in der Nähe der Alexandrinenstraße

gelegen hat. Nach der heutigen Ortsbesichtigung glaube ich, daß es die Prinzenallee (mit Bleistift geschrieben: Prinzenstraße) war. Ich bitte, daß ich morgen diese Straße sowie die Müllerstraße (3. Geschäft) noch einmal sehen kann, damit ich in der Lage bin, das Geschäft richtig zu bezeichnen.

Das zweite Geschäft war Johann Heleski, Liegnitzer Straße 6. Ich kenne den Händler genau wieder. Als ich in das Geschäft kam, hatte ich noch nicht gewußt, wie man diese Anzünder nennt. Ich habe nach diesen Dingern zum 'Kacheln' gefragt, bis mich ein Mann im Laden darauf brachte, daß dieses Material Kohlenanzünder heißt. Der Händler fragte mich, ob ich Holländer sei. Ich glaubte, daß er damit irgend etwas bezweckte und sagte, daß ich Rheinländer sei. Die Bezeichnung Rheinländer schien mir unverfänglicher, als wenn ich gesagt hätte, ich bin Ausländer. Ich erwiderte also, daß ich nahe an der holländischen Grenze wohne. Bei Heleski habe ich den Kohlenanzünder gegen 17 Uhr gekauft. Ich weiß das daher, weil ich noch eine ganze Zeit warten mußte, bis es dunkel wurde ... (Vermerk: Heleski bestätigt die Aussagen in vollem Umfange.)

Von Heleski bin ich dann direkt zum Wohlfahrtsamt gegangen und habe mir dort die Gegend angesehen. Dann bin ich noch etwa 1 1/2 Stunden in der Gegend des Hermannplatzes spazieren gegangen.

Von dem Geschäft in der Prinzenallee bin ich zum Zentrum gegangen und habe mir das Rathaus und das Schloß angesehen. Hierbei habe ich schon morgens bemerkt, daß das Fenster im Kellergeschoß des Rathauses offen war und daß sich vor dem Schloß die Baustelle befand. Ich habe mir dann sofort überlegt, daß ich zunächst die Sache im Wohlfahrtsamt, das ich mir aber erst mittags richtig angesehen habe, dann im Rathaus und dann im Schloß machen könnte.« v. g. u.

gez. van der Lubbe

Die Schilderung, die van der Lubbe von seiner Brandstiftung gab, enthält - wie die Kriminalkommissare Heisig und Dr. Zirpins noch nach dem Krieg versichert haben - keinen Widerspruch zu seinen ersten Aussagen unmittelbar nach der Verhaftung, die zum Teil stenographisch festgehalten worden waren. Sie stimmen zudem in jedem Punkt mit den Aussagen van der Lubbes vor dem Reichsgericht in Leipzig überein.

Auch über seine Motive hat van der Lubbe vor den Berliner Kriminalkommissaren wie den Leipziger Richtern gegenüber stets die gleichen Angaben gemacht. Im Polizeiprotokoll liest sich das so:

Berlin, den 2. März 1933

DIE MOTIVE:

»Von vornherein erkläre ich, daß meiner Handlung ein politisches Motiv zugrundeliegt.

Ich habe in Holland gelesen, daß jetzt

in Deutschland die Nationalsozialisten an die, Regierung gekommen sind. Ich habe schon immer die Politik in Deutschland mit großem Interesse verfolgt und die Zeitungen gelesen, die über Brüning, Papen und Schleicher geschrieben haben. Als jetzt Hitler, die Regierung übernahm, erwartete ich in Deutschland eine Begeisterung für ihn, aber auch eine große Spannung. Ich kaufte mir alle Zeitungen, die darüber berichteten, die dieselbe Meinung hatten.

Ich selbst bin links orientiert und gehörte bis der kommunistischen Partei an.

Mir gefiel an der Partei nicht, daß sie innerhalb der Arbeiter die führende Rolle spielen und nicht die Arbeiter selbst an die Führung heranlassen will. Ich sympathisiere mit dem Proletariat, das den Klassenkampf betreibt. Seine Führer sollen an der Spitze stehen. Die Masse selbst soll beschließen, was sie zu tun und zu lassen hat. In Deutschland hat sich jetzt eine nationale Konzentration gebildet, und ich bin der Meinung, daß das zwei Gefahren bildet:

1. werden die Arbeiter unterdrückt und

2. wird sich die nationale Konzentration niemals von den anderen Staaten ducken lassen, so daß es schließlich doch zum Krieg kommen wird.

Ich habe noch einige Tage die Entwicklung der Dinge abgewartet und dann den Entschluß gefaßt, nach Deutschland zu gehen, um mich hier zu informieren. Der

Entschluß stammt von mir ganz allein und ich bin auch allein hier nach Deutschland gekommen. Ich habe hier beobachten wollen, wie sich die nationale Konzentration auf die Arbeiterschaft auswirken werde und wie die Arbeiterschaft über die nationale Konzentration denkt ...

Ich habe festgestellt, daß die Anhänger der nationalen Konzentration volle Freiheit in Deutschland haben, der Arbeiter aber nicht. Weiter ist der Kampf der Organisation der Arbeiter nicht der richtige, um die Arbeiter zum Kampf für die Freiheit aufzurütteln. Ich habe nun mit den Arbeitern Mittel und Wege besprochen, wie man das richtig machen muß. Das Recht, das die Nationalsozialisten heute haben, das müssen auch die Arbeiter haben.

Ich habe zum Beispiel aufgefordert, eine Demonstration zu machen. Da wurde mir gesagt, man müsse sich zuerst an die Organisation, die KPD, wenden, die sich dann die Demonstration überlegen wird...

Meine Meinung war, daß unbedingt etwas geschehen müßte, um gegen dieses System

zu protestieren. Da nun die Arbeiter nichts unternehmen wollten, wollte ich eben etwas tun. Für ein geeignetes Mittel hielt ich irgendeine Brandstiftung. Ich wollte nicht Privatleute treffen, sondern etwas, was dem System gehört. Geeignet hierzu waren also öffentliche Gebäude, z. B. das Wohlfahrtsamt, denn das ist ein Gebäude, in dem die Arbeiter zusammenkommen, dann das Rathaus, weil es ein Gebäude des Systems ist, weiter das Schloß. Letzteres, weil es im Zentrum liegt und wenn es gebrannt hätte, hohe Flammen gegeben, hätte, die weit sichtbar gewesen wären. Da diese 3 Brände nun nicht funktioniert haben, also der Protest nicht zustande gekommen war, habe ich den Reichstag gewählt, weil das ein Zentralpunkt des Systems ist.

Zu der Frage, ob ich die Tat allein ausgeführt habe, erkläre ich, daß das der Fall gewesen ist. Es hat mir niemand bei der Tat geholfen, und ich habe auch im ganzen Reichstagsgebäude keine Person getroffen...« gez. van der Lubbe.

Dieser Aussage hatten die Kriminalisten Heisig und Dr. Zirpins nichts Wesentliches hinzuzufügen, denn alle ihre Nachforschungen bestätigten die Richtigkeit der Angaben und besonders die Behauptung van der Lubbes, allein gehandelt zu haben. Im Abschlußbericht der Polizei vom 3. März 1933 heißt es dazu:

MITTÄTER?

»Die Frage, ob van der Lubbe die Tat allein ausgeführt hat, dürfte bedenkenlos zu bejahen sein.

Die Ermittlungen, der objektive Tatbestand und die genauen Feststellungen des Täters selbst beweisen dies. Im Laufe

der Ermittlungen ist eine Unzahl von neuen Spuren aufgetaucht, die einer Nachprüfung aber nicht standgehalten haben ...

Die Schilderung des Tatortes und der Tatausführungen hat van der Lubbe schon von der ersten Vernehmung an (also vor der Tatortbesichtigung selbst) genau mit allen Einzelheiten, Brandstellen, Beschädigungen und Spuren sowie des Weges, auf dem sie liegen, so angegeben, wie sie ihm noch in Erinnerung waren. Hierzu ist aber nur derjenige in der Lage, der die Tat selbst ausgeführt hat. Einer, der nicht dabei war, konnte dies alles, besonders die nicht planmäßig angelegten kleineren Brandstellen nicht vorher schon beschreiben und nachher praktisch demonstrieren...

Über den persönlichen Eindruck, den van der Lubbe macht, ist zu sagen, daß van der Lubbe über eine (allerdings sicher einseitige) Intelligenz verfügt; er ist ein sogenannter 'fixer Junge', obwohl er seinem Äußeren nach das Gegenteil zu sein scheint. Er beherrscht die hochdeutsche Sprache, die er aber undeutlich ausspricht, sogar bis in Feinheiten hinein, konnte also nicht nur der Vernehmung folgen, sondern sogar ganze Sätze behalten und inhaltsgetreu, ja sogar wortgetreu wiedergeben. Er verbessert (besonders bei den Motiven) die niederzulegenden Wendungen, die ihm nicht richtig gewählt erscheinen, selbst.

Auffallend ist sein Orientierungsvermögen, das er wahrscheinlich bei seinen vielen weiten Wanderfahrten erworben hat. Obwohl er erst acht Tage in Berlin ist, ist er imstande, ganze Straßenzüge zu schildern und Tatorte (nach Anleitung) zeichnerisch darzustellen. Die Rekonstruktion des Tathergangs, die er bei den einzelnen Fällen wahrheitsgetreu schilderte, war, wie die wiederholten Nachprüfungen ergaben, lückenlos...

Die Ermittlungen werden von Krim. -Komm. Heisig und Krim.-Komm. Dr. Zirpins geführt.«

Dr. Zirpins, Krim.-Komm.

Kriminalkommissar Zirpins ist - wie auch sein Kollege Heisig - stets bei der Auffassung geblieben, daß van der Lubbe die Tat allein ausgeführt hat. In seinem damaligen Abschlußbericht versucht er allerdings auch den Nachweis zu führen, daß van der Lubbe zu seiner Tat »von dritter Seite« angestiftet worden sei. Nachdem die polizeilichen Untersuchungen schon keine Anhaltspunkte für irgendwelche kommunistischen Mittäter van der Lubbes erbracht hatten, glaubte Zirpins offenbar, es seinen Vorgesetzten - die ja doch an die Mittäterschaft der Kommunisten glaubten - nicht antun zu können, eine Verbindung van der Lubbes mit der deutschen KP zu verneinen. Er berief sich dabei vor allem auf die Aussagen jener angeblichen Augenzeugen Karwahne, Frey und Kroyer, die van der Lubbe zusammen mit dem KPD-Fraktionschef Torgler gesehen haben wollten - Aussagen, die später vom Leipziger Reichsgericht durchweg als unglaubwürdig verworfen wurden.

Nächste Woche:

»Ein Mann namens Waschinsky«, angeblich van der Lubbes Verbindungsmann zur SA, verschwindet spurlos - Pförtner Adermann hört Klopftöne im unterirdischen Gang.

Angeklagte Torgler (M. links) und van der Lubbe (M. rechts) beim Lokaltermin im Reichstag: »Ich habe es ganz allein getan«.

Agitprop-Chef Münzenberg: Schatten-Prozeß in London

Torgler-Karte an Rechtsanwalt Sack: Mit leeren Händen...

... zurück nach Berlin: Torgler-Verteidiger Sack in London

Reichstagsbrand-Gegenprozeß in London (1933): Kein passables Frauenzimmer im Saal

Agitprop-Helfer Moro-Giafferi, Cripps, Barbusse, Margarete Buber-Neumann: »Bei meiner Seele - Göring hat es getan!«

Reichstagspräsident Göring: »Die Kommunisten - ich weiß es hellseherisch«

Ex-Kommunist Koestler

»Wir verließen uns...

Ex-Kommunist Kantorowicz

... aufs Raten und Bluffen«

Brandstifter van der Lubbe beim Verhör: Ein fixer Junge

Polizist Buwert

Der Schuß ging daneben

Berliner Obdachlosenasyl: Zweimal fünf Reichsmark aus Holland

Kriminalkommissar Zirpins

Mittäter? - »Bedenkenlos verneint«

Berliner Reichstagsgebäude vor dem Brand: »Um die Arbeiter aufzurütteln«

* Arthur Koestler: »Die Geheimschrift«; Verlag

Kurt Desch, München; 1955.

** Arthur Koestler, André Gide, Ignazio Silone, Louis Fischer, Richard Wright und Stephen Spender: »Ein Gott, der keiner war«; Europa-Verlag, Konstanz-Zürich-Wien; 1950.

* Dr. Alfons Sack: Der Reichstagsbrand-Prozeß«; Verlag Ullstein, Berlin; 1934.

* Richard Wolff: »Der Reichstagsbrand 1933«, ein

Forschungsbericht. Herausgeber: Bundeszentrale für Heimatdienst, Bonn. Veröffentlicht in »Aus Politik und Zeitgeschichte«, Beilage der Wochenzeitung »Das Parlament« vom 18. Januar 1956.

** Die Bundeszentrale für Heimatdienst in Bonn ist dem Bundesminister des Inneren unterstellt und »hat die Aufgabe, den demokratischen und europäischen Gedanken im deutschen Volk zu festigen und zu vertiefen« ("Die Bundesrepublik Deutschland«; Ausgabe 1958/59; Carl Heymanns Verlag, Berlin-Köln). Sie gibt unter anderem die Wochenschrift »Das Parlament« heraus.

»STEHEN SIE AUF, VAN DER LUBBE!« (2024)

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